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Regina Humbert Kunst und Kreativität von Menschen mit geistiger Behinderung Seit rund 20 Jahren und in neuerer Zeit zunehmend erscheinen Hinweise für ein Erkennen in der Behindertenhilfe, dass Menschen mit geistiger Behinderung künstlerische Werke produzieren, die mehr sind als Kinderbilder oder Schülerzeichnungen, mehr auch als Ergebnisse therapeutischer Eingriffe und pädagogischer Förderung, und dass dieser Kreativität auch im Erwachsenenalter Raum gegeben werden sollte. Heute sind wir mittendrin in einer lebhaft sich entwickelnden Kunstszene in der Behindertenhilfe. Menschen mit geistiger Behinderung präsentieren sich mit bildender und darstellender Kunst. In diesem Vorgang wird der beschützende - begleitende - betreuende Rahmen der Behindertenhilfe sowohl gebraucht als auch verlassen. Gebraucht, weil Menschen mit geistiger Behinderung dort, wo sie leben, von Angeboten abhängig sind, die ihnen den Zugang zu Mitteln und Tätigkeiten eröffnen, sei das nun Förderung im Sinne von Bildung, Mobilität, Erwerbstätigkeit ... oder eben Förderung ihrer Kreativität. Verlassen, weil mit Kunstproduktionen zunehmend die allgemeine Öffentlichkeit gesucht wird, also interne Öffentlichkeit der Behindertenhilfe nicht mehr das einzige Publikum dafür ist. Lebendige Entwicklung in der Behindertenhilfe Wenn man die geschichtlichen Zusammenhänge der Entwicklung der Behindertenhilfe sieht, lassen sich Erklärungen dafür herauslesen, dass immer mehr Menschen Interesse an den Bildwerken von Malerinnen und Malern mit geistiger Behinderung entwickeln. Niemand wird mit einer Vorliebe für bestimmte Kunstsparten geboren, aber Vorlieben entwickeln sich mit der immer besseren Kenntnis einer Sache. In Europa musste sich die Behindertenhilfe nach dem Zweiten Weltkrieg im Prinzip neu organisieren. Fortschritte in der Medizin bewirkten, dass die Lebenserwartung von Menschen mit geistiger Behinderung zunahm. Das bedeutete einen erhöhten Bedarf an Plätzen in Einrichtungen sowohl für geistig behinderte Kinder als auch für Erwachsene. Dies war die Zeit, in der man immer mehr entdeckte, welche Entwicklungsmöglichkeiten auch schwerbehinderte Menschen haben können, wenn sie rechtzeitig und mit den richtigen Ansätzen gefördert werden, also wurden Frühförderstellen, Kindergärten, Schulen, Wohnstätten und Werkstätten für behinderte Menschen gebaut, wurden pädagogische Förderprogramme und Therapien entwickelt. Dies alles geschah unter dem Motto, „Ein Leben so normal wie möglich“ zu führen. Behinderung sollte nicht länger ein Grund sein, aus Lebensvollzügen ausgeschlossen zu sein, wie sie für die so genannte Normalbevölkerung auch gelten. Unter diesen Bedingungen lernten Kinder laufen, sprechen, selbstständig essen, selbstständig zur Toilette zu gehen, zu arbeiten und vieles andere mehr, was früher, zu Zeiten der Anstaltsverwahrung niemand vermutet hätte, dass sie es könnten. Allmählich setzte sich die Erkenntnis durch, dass auch Menschen mit geistiger Behinderung lernen, und zwar ihr Leben lang, und ein gesetzlich gesichertes Recht auf entsprechende Angebote haben. Für die Menschen mit geistiger Behinderung selbst bedeutete dies, dass ihnen vielfältige Übungen angeboten, aber auch abverlangt wurden, damit ihr Alltag auch unter den Bedingungen ihrer Behinderung so gut wie möglich funktioniert. Je besser, je perfekter das System der Hilfen aufgebaut war, desto deutlicher zeigte sich aber auch, dass mit der Ausrichtung an Normalität sozusagen nur eine Seite der Medaille zu erfassen war. Misst man Menschen mit Behinderung nur an den Maßstäben einer gerade aktuellen Normalität - über deren Sinnhaftigkeit sich streiten lässt - dann zeigen sich überwiegend Defizite. Damit aber konnten sich die Eltern, die Familien, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Einrichtungen und auch die behinderten Menschen selbst nicht zufrieden geben. Sie wussten aus eigenem Erleben, dass auch genau da Qualitäten zum Vorschein kommen, wo sozusagen die Normalität gegen den Strich gebürstet wird. Wo nicht mehr oder weniger perfekt nachgemacht wurde, wie "man es macht", sondern wo schöpferisch ein eigener Weg, ein eigener Ausdruck gesucht wurde. Schließlich lernte man auch, dass es Grenzen der Fördermöglichkeiten gibt. Dann ist es aber Aufgabe der Hilfen, Lebens- und Alltagsentwürfe anzubieten, ohne ständig fördern zu wollen und Menschen immer und immer schmerzlich an ihre persönlichen Grenzen zu führen. Im Rahmen der Therapien gab es z.B. Angebote der Kunsttherapie. Dort erkannte man, dass es kreative Menschen mit geistiger Behinderung gibt, bei denen es nicht mehr darum geht, Heilung zu erlangen, sondern vielmehr darum, ihnen die nötigen Freiräume für Ausdruck und Kommunikation nach ihrer Façon zu schaffen. Vielleicht arbeiteten darüber hinaus manche Künstlerinnen oder Künstler - zum Broterwerb, denn längst nicht jeder nichtbehinderte Künstler kann von seiner Kunst leben - in Einrichtungen der Behindertenhilfe, und diese hatten mit ihrem Blick für Individualität, individuellen Ausdruck und künstlerische Besonderheit etwas erkannt: Bilder von geistig behinderten Malerinnen und Malern können von ganz besonderer Qualität sein. In der Behindertenhilfe allgemein war im Laufe der Zeit eine Verschiebung eingetreten. Hinter dem Leitbegriff der Normalität kann sich leicht auch Anpassungsdruck verbergen, so sein zu müssen, wie es gesellschaftlich normal ist - auch wenn das in dieser Form nicht der ursprünglichen Absicht dieses Leitbilds entspricht. "Integration" wurde zum neuen Ideal, d.h., die Eingliederung in die Gesellschaft, die aber nicht mit Anpassungszwängen verbunden sein sollte. Menschen sollten akzeptiert werden, wie sie sind, und alle erforderlichen Hilfen erhalten, um ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Das ging noch einen Schritt weiter in den Forderungen nach "Selbstbestimmung" und "Empowerment", also der Stärkung der Selbstbestimmungskräfte behinderter Menschen. Heute arbeiten wir daran, die Hilfen gemeinsam mit denen, die sie benötigen, individuell zu beschreiben. Die freie Entscheidung des Einzelnen und die Wertschätzung von Individualität sind in unserem Zusammenhang von besonderem Interesse. Zu dieser Haltung passt, was im künstlerischen Tun geschieht, denn es geht dabei um die Akzeptanz selbstgewählter und selbstgestalteter Ausdrucksformen. Alltagspraktisch gesehen sind Menschen mit geistiger Behinderung diejenigen, deren Denken und Tun zurechtgerückt und verbessert, manchmal sogar in Stellvertretung erledigt werden, eigentlich ihr Leben lang. Immer wieder darauf zu stoßen , dass man im Vergleich zu Nichtbehinderten im Alltag schlechter zurechtkommt, weniger Möglichkeiten des Handelns und des Ausdrucks hat, gehört zur besonderen Lebensleistung, die Menschen mit geistiger Behinderung bewältigen müssen. Dann ist es ein Glück, über eine künstlerische Begabung zu verfügen, durch die es möglich wird, die Auseinandersetzung mit den Dingen dieser Welt mit individuellen Zeichen darzustellen. Der künstlerische Blick Individualität ist ein Anspruch, den wir auch in der modernen Malerei finden. Seit dem Wechsel vom 19. in das 20. Jahrhundert gibt es eine grundlegende Abkehr von der Malerei der alten Meister und ihren realitätsgetreuen perspektivischen Darstellungen. Um die Wende zum 20. Jahrhundert geriet bei der Suche nach zeitgemäßen Ausdrucksformen die Malerei der so genannten Außenseiter ins Blickfeld. Heute noch berühmtes Beispiel ist die Prinzhorn-Sammlung künstlerischer Arbeiten von Psychiatrieinsassen, darunter auch einigen Menschen mit geistiger Behinderung, die in den 1920-er Jahren zusammengestellt und gezeigt und nachweislich von der Kunstwelt mit Interesse wahrgenommen wurde. Die Urheber dieser Werke hatten trotz der einengenden Bedingungen von psychischer Erkrankung und psychiatrischer Umgebung Ausdruck für ihre schöpferischen Kräfte gefunden, und zwar mit oft ganz anderen Mitteln als die altmeisterliche Malerei. Würden heute noch die Ansprüche an die Bildende Kunst altmeisterliches Können verlangen, hätten die Bilder der Künstlerinnen und Künstler mit geistiger Behinderung wenig Aussicht auf Anerkennung. Da sich aber die Malerei gewandelt hat und individuellen Ausdruck schätzt, haben sie bessere Chancen, mit ihren Ausdrucksformen Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu erlangen. Gemessen an Alltagsanforderungen geraten Menschen mit geistiger Behinderung häufiger an Grenzen als Nichtbehinderte. Zwar ist jeder Mensch gewohnt, mit den Grenzen seiner Fähigkeiten zu leben, aber vorstellbar ist doch, dass der Spielraum unter der Bedingung einer geistigen Behinderung entschieden kleiner ist und folglich die Anstrengung, zurechtzukommen, größer. Demgegenüber erlaubt kreatives Tun, etwa beim Malen, einen großen Freiheitsgrad im Umgang mit den Dingen. Im Bilde darf man sich ungeniert ins Zentrum des Interesses stellen, man kann Anderen ihre Position zuweisen, man kann dem Bedürfnis nach Fülle und Schönheit ebenso Raum geben wie nach Sinnlichkeit, die sich z.B. in reiner Farbversunkenheit ausdrückt. Es ist möglich, sich von allem Gegenständlichen freizumachen und sich der Bewegung der malenden Hand und dem Farberlebnis hinzugeben. Ordnungen von Zeit und Raum müssen nicht gelten. Wenn hier nicht regulierend, diktierend eingegriffen wird, ist das Malen eine Gelegenheit, ganz bei sich zu sein, ein nach außen sichtbar werdendes inneres Selbstgespräch. - Der Schulung unseres Blicks durch die moderne Malerei sei Dank, sind wir als Betrachter im Stande, auch Bilder zu würdigen, die nicht in perfekter Technik und mit altmeisterlichem Können gefertigt wurden. Bilder malen und Bilder anschauen kann als Verständigung auf einer nonverbalen Ebene bezeichnet werden; die Fähigkeit dazu setzt in der Regel noch vor dem Gebrauch der Sprache ein und bezeugt ein zugrundeliegendes Verständnis von der Essenz der Dinge. Wer zum Beispiel nicht sprechen kann, schon gar nicht über so ein abstraktes Wort wie „Mensch“ verfügt, weiß oft sehr wohl, welche Zeichen nötig sind, auf einem Bild einen Menschen zu erkennen und sogar erscheinen zu lassen. Über die zeichnende, malende Hand wird der Ausdruck auch von Gefühlen möglich. Oder die Demonstration von Form- und Farbempfinden. Oder die Darstellung komplexer Sachverhalte, die ihrerseits Zeugnis einer differenzierten Beobachtung ist. Jedes Bild ist eine Probe nicht nur des Gestaltungsvermögens dessen, der es geschaffen hat, sondern auch des Auffassungsvermögens seiner Betrachter, und offenbar gelingen in der Welt der Bilder vielfältigste Variationen von Ausdruck und Verstehen, mehr jedenfalls als in sprachlicher Kommunikation. Wie Sprache ist das Künstlerisch-Schöpferische eine Ausdrucksform des Menschen, eine gewissermaßen verschlüsselte Botschaft, die individueller und vielschichtiger ist als das Wort. Nicht alles, was Menschen zu Papier oder auf die Leinwand bringen, verdient die Bezeichnung Kunst, mit der eine besondere Wertschätzung verbunden ist. Aber es ist schwer zu beschreiben, wo die besondere künstlerische Qualität beginnt. Messen kann man das nicht. Das geht im Sport leichter, wo Zeiten und Weiten und Tore gelten, und wo es Breiten- und Spitzensport gibt. Vielleicht helfen bei der Beurteilung von Bildwerken einige Gegensatzpaare weiter. Es gibt gute und schlechte Bilder,spannende und langweilige, nachgemachte und selbst erschaffene, also Wiederholungen und Einzigartiges. Es gibt banale Bilder und aussagestarke. Betrachtern wird abverlangt, Stellung zu den Bildern zu beziehen. Das machen Menschen ganz automatisch und entwickeln ihren persönlichen Geschmack. Der muss nicht immer identisch mit dem sein, was anerkannte Kunst ist. Nicht jeder mag alles leiden, was als Kunst in Galerien und Museen gezeigt wird, andererseits gibt es viel geliebten Kitsch. Die ganze Bilderwelt ist eine Einladung, sich das Passende auszusuchen. Bemerkenswerter Weise scheinen alle Menschen das tatsächlich zu tun. Sie haben ein ästhetisches Grundbedürfnis und werden von Bildern angesprochen; Menschen brauchen Bilder. Wer Bilder von bleibendem Eindruck schafft, wird als Künstler geehrt. Kreativität, Heilpädagogik und menschlicher Ausdruck Menschen mit geistiger Behinderung sind in vielen Bereichen ihres Lebens auf Hilfen angewiesen, ihre Selbstversorgung, also Ernährung, Kleidung, Wohnen, Arbeiten könnten viele von ihnen nicht allein bewerkstelligen. Auch im Kreativen bedarf es der Unterstützung von außen, indem die Möglichkeit zu kreativem Tun und kreative Wege eröffnet werden, indem Materialien, Zeit und Raum, aber auch künstlerische Arbeitsweisen angeboten werden. Nicht jeder Mensch, der Freude am Malen hat, verfügt über die Kenntnis, welche Materialien und Techniken eingesetzt werden können. Nicht jeder wird von einem inneren Genius mit immer neuen Bildideen versorgt. Dann braucht man Anregungen und Schulung. Menschen mit geistiger Behinderung sind in besonderem Maß darauf angewiesen, in behutsamer Schulung herauszufinden, was für sie das Richtige ist, ob sie vielleicht über soviel inneren Antrieb und soviel künstlerische Ausdauer verfügen, dass dies ein wichtiges Lebensthema für sie wird, oder ob es ihnen genügt, dann und wann ein wenig diesem Hobby nachzugehen. Von ihren Assistenten wird Feinfühligkeit erwartet, damit soviel Hilfe wie nötig gegeben wird, ohne bevormundend die künstlerische Freiheit einzuengen. Wenn von Kunst oder Kreativität von Menschen mit geistiger Behinderung die Rede ist, geht es um ein weites Gebiet mit unterschiedlichen Zugangswegen, je nach dem, ob der Ausgangspunkt derjenigen, die sie dabei begleiten, ein eher pädagogischer, ein therapeutischer oder ein künstlerischer ist. Die Grenzen dazwischen sind nicht immer leicht zu ziehen, denn wo Pädagogik sich nicht allein als Anbieterin von Lernstoff versteht, sondern als Befähigerin und Öffnerin zu neuem Lernen, geschieht ein fließender Übergang zum Arbeitsfeld der Psychologen und Psychotherapeuten, das sich darüber hinaus eher als ein Ansatz zur Heilung von Verletzungen versteht. Pädagogen wie Psychologen arbeiten mit „Therapien“. Rein künstlerische Ansätze verfolgen nicht diese Zwecke zu belehren, zu fördern, zu heilen, sondern unterstützen individuellen künstlerischen Ausdruck, erreichen oft aber auch zugleich Ziele von Pädagogik oder Therapie. Heilpädagogik kann sich bildnerisches Arbeiten in mehrerlei Hinsicht zunutze machen. Zum einen gibt es darin Möglichkeiten zur Sicherung oder Förderung von Selbstwahrnehmung, auf deren Basis weiteres Lernen erfolgen kann. Kreatives Arbeiten, bei dem es wirklich um Kreativität - also um ganz eigene bildnerische Lösungen im Gegensatz zum Erfüllen vorgegebener Aufgaben - geht, kann leichter den individuellen Stand und den Entwicklungsgang einer Person akzeptieren, denn es muss ihn nicht zu einem vorab definierten Lernziel hinlenken. Die meisten Lernstoffe in Alltag und Schule haben mit der Bewältigung von konkreten Aufgaben zu tun und lassen nur bedingt individuelle Lösungen zu: Wie eine Jacke geknöpft wird, hat mit der Zuordnung von Knöpfen und Knopflöchern zu tun; ein Fahrplan hilft nur dann, rechtzeitig zum Zug zu kommen, wenn ich in der Lage bin, seine Angaben zu lesen, auf Uhrzeit und nötige Abläufe zu beziehen; wenn ich zwei Tafeln Schokolade kaufen will, muss ich den doppelten Preis von einer bezahlen ... So gibt es fürs Leben unzählige Dinge zu lernen, damit alles glatt läuft. Dabei spielen in der Sache liegende Gegebenheiten eine Rolle und müssen respektiert werden (Schuhe drücken, wenn man links und rechts vertauscht; Autos sind schneller und stärker als Menschen ...) und gesellschaftliche Konventionen. Je besser wir sie gelernt haben, durchschauen und beherrschen, desto besser gelingt der Alltag. Aber wie ist die Situation für einen Menschen, der unter der Bedingung einer geistigen Behinderung lebt? „Was sollen wir mit Menschen tun, deren einziges Merkmal zu sein scheint, dass sie vieles überhaupt nicht und einiges nur geistig und/oder körperlich behindert ausführen können?“ fragt Herbert Maly, Leiter eines der ältesten Kunstprojekte für behinderte Menschen in Europa, dem Verein Coopérations in Luxemburg. Die Antwort der Kunst auf diese Frage ist nicht dieselbe wie die der Pädagogik, die Kompetenzen erweitern will, auch die Kunstpädagogik, selbst wenn diese nicht auf den ersten Blick konkrete Alltagsbewältigung im Auge hat, geschweige denn trainiert. In der Kunst und im kreativen Handeln gibt es eine relative Freiheit von den Zwängen eines konkreten Zwecks, es sollte auch nicht primär darum gehen, etwas sauber und ordentlich und nach gegebenen Vorbildern zu machen. Das kann entlastend sein, wenn sonst vieles nur schwer oder gar nicht gelingt. Durchweg lässt sich beobachten, das solches Tun Menschen Freude macht, und dann sind sie fähig zu größerer Konzentration und Ausdauer (und im weiteren Vollzug auch dazu, Neues zu erproben). Das aktuelle Vermögen darf sich zeigen und steht im Brennpunkt des Interesses, und zwar nicht als etwas, das dringend verbessert oder gefördert werden muss, sondern als legitimer Ausdruck einer Person. So zeigt sich Akzeptanz, und so kann Selbstvertrauen wachsen. Während Behindertenhilfe sich heute im allgemeinen an Werten der Normalisierung, der Gleichwertigkeit aller Menschen, der Integration und der Selbstbestimmung orientiert, wird diese Orientierung unfraglich durch das gesteuert, was die Normalität Nichtbehinderter ausmacht. In vielen Kunstprojekten wird dieser Rahmen verlassen, und es zeigt sich ein Bestreben, die nichtbehinderte Normalität hinter sich zu lassen und sich auf die Suche danach zu machen, was vielleicht die Normalität von Menschen mit geistiger Behinderung sein könnte. Wenn man bedenkt, wie vieles in der nichtbehinderten Normalität einfach nur eine regionale Gepflogenheit oder eine Zeiterscheinung ist, also ein fragwürdiges Gebilde, das gar nicht so oder überhaupt sein muss, und trotzdem werden Mittel und Kräfte darein investiert, dann können wir kritisch fragen, ob die Anpassung von Menschen mit geistiger Behinderung an landläufige Normalität sie nicht in ihrer Normalität - die wir kaum kennen - behindert. Es könnten doch die Bedingungen geistiger Behinderung andere Lebenswelten erfordern, damit ein Mensch sich sinnvoll erlebt. Seinen Hilfebedarf stellt das nicht in Frage, wohl aber die Art der Hilfen. Wie viele Menschen mit geistiger Behinderung gibt es, die im bestehenden System der Hilfen oder, allgemeiner, im gegebenen Alltag nur ganz enge, oft quälende Verhaltensweisen entwickeln konnten? Nach dem Lebenssinn eines Menschen auf der Grundlage der ihm oder ihr gegebenen Kreativität zu suchen, halte ich deswegen für so sinnvoll, weil es bei genau dem ansetzt, über das diese Person verfügt. Dies wahrzunehmen, wie klein es auch ist, bedeutet, dem Vorhandenen Aufmerksamkeit schenken, nicht Defizite betonen. Respekt also und Zuwendung. Regina Humbert Der ungekürzte Aufsatz ist erschienen als Sonderdruck von Inclusion Europe unter dem Inclusion Europe ist die Europäische Vereinigung von Organisationen von Menschen mit geistiger Behinderung und ihren Familien mit Sitz in Brüssel. Nähere Information finden Sie auf der Website von Inclusion Europe Wir danken der Verfasserin für die freundliche Erlaubnis der Veröffentlichung der vorliegenden Fassung des Aufsatzes. |
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